„Can you feel the spirit?“ Bruce Springsteen & The E Street Band bereiteten auch Hannover eine magische Nacht.
von Gérard Otremba
Ja, konnten wir. Um die häufig gestellte Frage Springsteens in der Einleitung zu „Spirit In The Night“ zu beantworten. Mit lautstarken „Yeah, yeah“-Rufen reagierten die über 40 000 Besucher in der ausverkauften Heinz von Heiden Arena in Hannover. Einer von vielen magischen Momenten des dreistündigen Konzerts, einer von 30 Höhepunkten des Auftritts von Bruce Springsteen und seiner E Street Band am 05.07.2024, denn so viele Songs spielte er an diesem regenfreien und mit knapp 20 Grad wohltemperierten Abend in der Hauptstadt Niedersachsens. Aufgrund der Fußball-EM leider das einizige diesjährige Deutschlandkonzert des im September 75 Jahre alt werdenden amerikanischen Rock-Superstars, der diesmal mit weißem Hemd, roter Krawatte, schwarzer Weste und legerer Jeans auftrat.
Hannover und Bruce Springsteen waren bereit
Nachdem die Deutschland-Konzerte 2023 (Sounds & Books berichtete aus Hamburg und Düsseldorf) von einem überpünktlichen Beginn kurz vor 19 Uhr geprägt waren, ließ sich Bruce Springsteen diesmal etwas mehr Zeit und betrat mit seiner 17-köpfigen Band erst um 19.45 Uhr die Stadionbühne (ein Zugeständnis an die Fußball-Fans, die das ab 18 Uhr laufende Viertelfinale der deutschen Mannschaft gegen die Spanier sehen wollten?). „Seid ihr bereit?“, war Springsteens Eingangsfrage, die Fans waren es, aber noch viel mehr er und seine getreue Entourage. Mit „Lonesome Day“ begann das Rockspektakel und sofort waren Springsteen und die E Street Band on fire.
Die Setlists im letzten Jahr waren für Springsteen-Verhältnisse eher statisch und selten überraschend, dieses Jahr ließ sich der „Boss“ immer wieder ein paar Besonderheiten einfallen. So auch in Hannover. Die folgenden „Candy’s Room“, „Adam Raised A Cain“, „My Love Will Not Let You Down“ und „Prove It All Night“ preschten mit Volldampf voran, Springsteen-Gitarrensoli inklusive und die E Street Band überbot sich einmal mehr in ihrer Rolle als überragende, geölte Rockmaschine, die den Fans die Sterne vom Himmel holt.
Die Überraschungsmomente
Ein Knaller-Auftakt und die Überraschungen ließen nicht lange auf sich warten, folgten doch mit „E Street Shuffle“ sowie „Into The Fire“ gleich zwei Tour-Debüts hintereiander. Besonders das salbungsvolle „Into The Fire“ berührte zutiefst. Den mantraartigen Refrain „May your strength give us strength / May your faith give us faith / May your hope give us hope / May your love give us love“ hatte das amerikanische Volk nach den Attentaten von 2001 nötig und im Anblick des drohenden Wahlsieges des durchgeknallten republikanischen Herausforderers jetzt wieder nötiger als zuvor (gegen Bruce Springsteen hätte Trump keine Chance). Unter Bruce-Fans wird noch an das „Promised Land“ geglaubt. Der das Hannoveraner Publikum sogar mit dem Live-Debüt von „Janey Needs A Shooter“ entzückte. Für solche raren Konzertmomente liebt man Springsteen noch viel mehr.
Das sympathische Auftreten Springsteens
„Darlington County“ und „Working On The Highway“ dann Party pur. Bruce Springsteen suchte den den Kontakt zu den Fans in der ersten Reihe ganz außen, während des soulig-gospeligen „Spirit In The Night“ dann die persönlichen Begrüßungen, Umarmungen und Verbeugungen sowie Autogramme für die jüngsten Fans. Auch verschwanden die Mundharmonikas mal offensichtlich, mal im Verborgenen in Kinderhände. Das ist alles wahnsinnig herzlich, super-sympathisch und man möchte Springsteen allein für diese Gesten einfach mal umarmen. Aber dann Gänsehaut und Tränen bei „My Hometown“ und „The River“, reiner und fabelhafter Soul beim „Nightshift“-Cover sowie die Reminiszenz an die sehr frühen Musikjahre Springsteen in den Sixties bei den Castiles mit „Last Man Standing“.
Das Beste von Bruce Springsteen
In den letzten 90 Minuten das gewohnte Bild, aber eben das gewohnt phantastische Bild, das Bruce Springsteen, Roy Bittan (Piano, Synthesizer), Nils Lofgren (Gitarre), Garry Tallent (Bass), Stevie Van Zandt (Gitarre, Vocals), Max Weinberg (Drums) sowie Soozie Tyrell (Violine, Gitarre, Vocals), Jake Clemons (Saxophon) und Charlie Giordano (Keyboards) samt Unterstützung an Perkussion, Chor und Bläsern den Besuchern hinterließen. Ein nicht enden wollender Rock-Taumel durch das Beste, was der „Boss“ so zu bieten hat. Lofgrens Solo bei „Because The Night“ immer noch irre und die Begeisterung, die sich durch Call-and-Response-Passagen zwischen Bruce/Band und dem Publikum ins schier Unermessliche hochschraubt, zählt zu den ultimativen Höhepunkten aller jemals gespielten Rock-Konzerte. Man muss sich das immer wieder auf der Zunge zergehen lassen, wenn „Backstreets“, „She’s The One“, „Wrecking Ball“, „The Rising“, „Badlands“ und „Thunder Road“ erschallen. Und das sind noch nicht mal die Zugaben.
Nächstes Jahr wieder live in Deutschland?
Bei denen das Stadion dann zu „Born In The U.S.A.“, „Born To Run“ (der wohl beste Rocksong aller Zeiten, mehr dazu in der demnächst folgenden Liste der Top-100-Songs von Bruce Springsteen), „Bobby Jean“ und „Dancing In The Dark“ ins Beben geriet. Bei „Tenth Avenue Freeze-Out“ nach wie vor das verdiente, bilderreiche Gedenken an die Bandtoten Clarence Clemons und Danny Federici und noch mehr Tanzaufforderung mit „Twist And Shout“. Die einstige Zukunft des Rock’n’Roll hat sich längst als Herz des Rock’n’Roll etabliert und das schlug diesmal für drei Stunden in Hannover. Und beendete diesen glorreichen Abend, wie seit einem Jahr üblich, mit dem berührenden „I’ll See You In My Dreams“.
Bruce Springsteen hat es immer noch drauf und wirkt trotz eines zuletzt angegriffenen Körpers kein Stückchen müde. Termine für die ausgefallenen Konzerte in Prag und Mailand stehen für 2025 bereits fest. Die Fußball-EM in Deutschland ist dann beendet, Stadien stünden wieder zur Verfügung. Mindestens Berlin und Frankfurt sollten doch wohl möglich sein. Das Warten beginnt. Auf weitere magische Springsteen-Abende in Deutschland.
(Beitragsbild-Credit: Rob DeMartin, Bruce Springsteen & The E Street Band, live, BST, Hyde Park London UK, 08.07.2023, Live Nation)
Es waren einfach gesagt: Drei Stunden des Glücks.
Und hoffentlich kommt der Boss wieder.
Genau. Und das Glück hält irgendwie immer noch an. Ich hoffe ebenfalls auf weitere Deutschland-Konzerte im Jahr 2025.
Sehr gute Zusammenfassung … ich hatte viel Spaß und freue mich auf die beiden für mich ausgefallenen Konzerte in Prag und Mailand.
Vielen Dank. Die Freude auf die Konzerte 2025 kann ich gut verstehen. Hoffe auf weitere Deutschland-Auftritte.
Ein sehr schöner Text! Genau so war‘s (ich stand ganz in der Nähe 🙂
Ein traumhaftes, ein atemberaubendes, ein überwältigendes Boss-Konzert. Das beste, das ich in 25 Jahren gesehen habe. Dieser Mann, diese Band sind vielleicht nicht mehr die Zukunft der Rockmusik (gibt’s die überhaupt noch?), aber ganz gewiss ihr Höhepunkt in Vergangenheit und Gegenwart. Grandios.